AUTHENTIC MOVEMENT – Entstehung & Praxis

Entstehung

Tanz ist schon seit jeher Ausdrucksmittel für die Verbindung von Körper, Seele und Geist; die Linderung von Leiden, das Erleichtern bestimmter Lebensphasen durch Übergangsriten und die Verbindung zum Spirituellen, sie alle sind entstanden durch den Tan.z Für die Entwicklung der Tanztherapie sind die Tänzerinnen der Moderne von großem Einfluss gewesen. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass sich die Tanztherapie zu Beginn der 40-er Jahre des letzten Jahrhunderts zu einer eigenständigen Form der Psychotherapie in den USA entwickeln konnte, welche die Bewegung als primären Ansatz und Ausgangspunkt im psychotherapeutischen Prozess hat.

Unter den Formen expressiver und kreativer Therapien nimmt Tanztherapie eine besondere Stellung ein. Sie greift auf eines der ältesten therapeutischen und künstlerischen Medien der Menschheit zurück, den Tanz.

Tanz gilt als eine der ersten und ältesten Formen menschlichen Ausdrucksstrebens überhaupt: Nur wo Bewegung ist, ist Leben.

In diesem Zusammenhang möchte ich 2 Tänzerinnen erwähnen:

Mary Wigman und Martha Graham: Sie entwickelten ihre jeweils spezifische Kunstform des Tanzes zur gleichen Zeit, die eine in den USA, die andere in Deutschland.

Ein Gedanke zum Tanz von Martha Graham:
Da gibt es eine Lebenskraft, eine Energie, ein sich Verdichten, welche durch dich in Aktion gebracht wird, und weil es dich nur ein einziges Mal gibt auf dieser Welt, ist dieser Ausdruck einmalig und wenn du ihn blockierst wird er nie existieren und die Welt ihn nie zu Gesicht bekommen.

Damit ist nicht nur die Einzigartigkeit eines jeden Menschen angesprochen, der Gedanke enthält Wertschätzung und Aufforderung zugleich, und ermuntert diese Einmaligkeit der Welt zu zeigen und in ihr gesehen zu werden. Mit dieser Einstellung haben beide Tänzerinnen ihre Schülerinnen auf den Weg geschickt.

Eine gemeinsame Schülerin der beiden ist Mary Starks Whitehouse, die als die Begründerin von Authentic Movement gilt. Sie war eine der bedeutendsten Tanztherapeutinnen ihrer Zeit.

Authentic Movement

Bevor ich näher auf Mary Starks Whitehouse und die Entstehung des Begriffes Authentic eingehe, möchte ich den Versuch unternehmen, die Praxis des Authentic Movement zu veranschaulichen

Es ist üblich, diese Therapieform sowohl in der Gruppe, als auch im Setting einer Einzeltherapie zu praktizieren. Die Basis dieser Fachrichtung der Tanztherapie, wird gebildet aus der Beziehung zwischen dem Mover (der sich bewegenden Person), und dem Witness (wörtlich Zeuge/Zeugin, das ist die die Bewegung mit dem Blick begleitende Person).

Für einen vorher vereinbarten Zeitraum, für dessen Einhaltung die Person in Begleitung verantwortlich ist, bewegt sich der Mover. Die Bewegung geschieht ohne Musik und mit geschlossenen Augen. Der Mover horcht in sich hinein, wartet auf einen Impuls, der zur Bewegung drängt. Diese Bewegung, die für den Witness sichtbar oder unsichtbar sein kann, gestaltet den Körper des Movers, indem dieser zu einem Gefäß wird, durch das unbewusstes Material ins Bewusstsein vordringt.

Währenddessen sitzt der Witness still am Rande des Bewegungsraumes und begleitet die Bewegungen, nimmt wahr und achtet auf sein eigenes Erleben.

Im Anschluss an die vereinbarte Bewegungszeit folgt eine Phase der Stille, in welcher zum Gestalten und Sichtbarmachen des Erlebten auch andere kreative Mittel wie Malen, Schreiben und Tonarbeit herangezogen werden können.

In diesem zwischenmenschlichen Beziehungsfeld kommt dem Sehen und Gesehenwerden eine grundlegende Bedeutung zu. Ein nicht wertendes, nicht analysierendes Annehmen des in der Bewegung Erlebten wird angestrebt.

Die innere Haltung ist von erhöhter Aufmerksamkeit, Empathie und Respekt. Das ernsthafte Bemühen aller Beteiligten um bewusste Wahrnehmung der individuell durchaus unterschiedlich erlebten Inhalte, bildet die Grundlage für den Bewusstwerdungsprozess in Authentic Movement.

Somit können Verbindungen zwischen Unbewusstem und Bewusstsein geschaffen werden, die es dem/der Einzelnen erlauben, Zugang zu sich selbst und zu übergeordneten Zusammenhängen zu finden. Diese prozessorientierte Methode spricht alle Ebenen der inneren Wahrnehmung an und ermöglicht dem/der Einzelnen sich in seiner Individualität sowie auch in kollektiven Zusammenhängen bewusst zu erfahren.

Die frei anmutenden Bewegungssequenzen sind eingebettet in streng ritualisierte Formen des Miteinander, dazu gehören Richtlinien verbaler Kommunikation, die helfen sollen Projektionen zurückzunehmen; zu diesen Formen gehört auch die dem Gruppensetting inhärente Form des Kreises. Eine weitere Strukturierung geschieht durch die klar begrenzte Bewegungszeit.

Innerhalb des Gruppensettings besteht die Möglichkeit, zwischen Diaden, Triaden und Begleitung aller sich im Kreis befindlichen Mover zu wählen.

Ein zentraler Aspekt der Struktur dieser Form besteht in der Ansicht, dass es jedem/r Einzelnen freisteht, zu tun was zu tun ist, im Sinne von "Wha t(s)he needs to do" im Englischen, ohne sich selbst oder andere dabei zu verletzen.

Inmitten dieser Konzentration auf das Eigene ist es wichtig, dass alle Gruppenmitglieder von der gleichen Grundhaltung ausgehen, um so einer Gesamtgruppe inhärenten Ordnung zu vertrauen. Zu versuchen ein "gutes Gruppenmitglied" zu sein und Bedürfnisse der Gruppe vor die individuellen zu stellen, ist dabei nicht beabsichtigt.

Wenn jedes Individuum das tut was zu tun ist, wieder im Sinne von „What (s)he needs to do“, ungeachtet dessen, was das ist, dann, so stellen wir fest, scheint die Gruppe als Ganzes im Einklang zu sein, schreibt J. Adler 1994, anlässlich des Tanztherapiekongresses in Berlin 1995.

Dieser Einklang könnte in Verbindung stehen mit dem Vorhandensein des Internal Witness (innere/r BegleiterIn) eines jeden Individuums, der sich anhand von Mitgefühl und Respekt des äußeren Begleiters entwickelt. Dies ist jener Teil unseres, Selbst mit dem wir Erfahrung von Realität akzeptieren, zurückweisen, diskutieren, schützen, exponieren, aufspüren und lenken. Dieser Prozess der Entwicklung eines Internal Witness ist es, der die Möglichkeit schafft, bewusst Zugehörigkeit zu einem Kollektiv zu wählen.

Mary Starks Whitehouse

geboren 1911 verstand es als eine der ersten eine Verbindung zwischen Tanz und Bewegung und den Lehren der Analytischen Psychologie C.G. Jungs herzustellen. Sie erkannte, dass Bewegungen aus verschiedenen Quellen der Psyche gespeist werden können, dem Bereich des Bewusstseins, d.h. den willentlichen, vom Ich gesteuerten Bewegungen, was im Englischen mit „I move“ beschrieben wird; dem Bereich des Unbewussten, d.h. den unwillkürlichen Bewegungen, im Englischen beschrieben mit „I am moved“, und Bewegungen die vom Selbst ausgehen, im Englischen beschrieben mit „It moves me“, welche schliesslich den Bereich des Unbewussten und den Bereich des Bewusstseins vereinen. (Chodorow 1994).

Ursprünglich nannte sie ihre Arbeit „Movement in depth“; später Authentic Movement.

Das Hauptinteresse ihrer tanztherapeutischen Arbeit galt den inneren Erfahrungen des Einzelnen und dessen authentischem Bewegungsausdruck.

Fünf Prinzipien liegen Authentic Movement nach M.S. Whitehouse zugrunde:

  • Humanistisches Wachstumsmodell

  • Prozessorientiert

  • Die Überzeugung, dass das Individuum über Bewegung Zugang zum Unbewussten hat, und dass dieser Prozess an sich von heilender Qualität ist.

  • Bewegung reflektiert die Persönlichkeit

  • Überzeugung, dass die bewusste Erfahrung von Bewegung psychische Veränderungen bewirkt.


Der Vorgang der Bewusstwerdung erfolgt über das Gewahrsein des Körpers hin zum inneren Impuls und dann zur Verbindung nach außen.

Ich spreche hier immer von Bewegung, es ist oft jedoch mehr ein Körperausdruck und manchmal passiert sichtbar sehr wenig an Bewegung, für den Mover jedoch sehr viel an Erfahrung. Im Taoismus finden wir den Begriff „action in nonaction“, das heißt auch wenn ich nichts tue geschieht etwas, auch wenn keine aktive Handlung gesetzt wird, läuft etwas ab.

Den wesentlichen Augenblick sieht M. Starks Whitehouse dort wo das Ich die Kontrolle aufgibt, aufhört eine Wahl zu treffen und Forderungen zu stellen, und es dem Selbst überläßt, den physischen Körper nach seinem Willen zu bewegen.

Das Selbst ist der Jungianische Archetyp, der das Individuum zur Ganzheit und zu seinem einzigartigen Lebensweg führt. Ein weiterer Begriff, den Jung in seinen Schriften immer wieder erwähnt ist die Aktive Imagination.

Sie wird erklärt als ein Prozess indem das Unbewusste frei sprechen darf und das Unbewusste teilnehmend, aber nicht dirigierend, kooperierend aber nicht auswählend, zusieht. Dies entspricht der Rolle des Witness in Authentic Movement.

Die Sprache in der sich das Unbewusste mitteilt besteht aus Bildern, die in Malerei, biblischer Sprache, Sichtung Bildhauerei, Tanz und Kunst ihren Ausdruck finden. Dieser Bilder können sehr schnell ihre Gestalt verändern.

Bewegungen sind sehr schwer zu zensieren, man bewegt sich bevor man weiß was passiert. Man kann aufhören Wörter zu schreiben, man kann sich bestimmte Bilder beim Malen leichter untersagen als bestimmt Bewegungen zu stoppen, die ja immer aus dem Vorhergehenden entstehen.

Der Körper aber bewegt sich ständig er braucht kein Werkzeug, keinen bestimmten Zeitpunkt oder Ort; er ist immer da, er braucht nur beachtet wird.

In dem Prozess des Authentic Movement geht es vor allem um Aufmerksamkeit, Wahr-nehmen, Gewahrsein, der über den Körper sich ausdrückenden Bewegungen.

Zitat Mary Whitehouse.


Wenn die Bewegungen einfach und unvermeidlich waren, wenn keine noch so geringen Veränderungen möglich waren, wurden sie zu dem was ich als authentisch bezeichne; sie konnten als ursprünglich erkannt werden, als etwas was zu dieser Person gehörte:

Authentisch war das einzige Wort, das Wahrheit ausdrückte, eine Wahrheit von der Art, die nicht angelernt war, die einfach da war und die man in bestimmten Momenten sehen konnte. Das Gegenteil von authentisch war das Wort unsichtbar.

Wenn jemand Menschen dazu verhilft, all die natürlichen Funktionen und Kapazitäten des Körpers zu entwickeln, wenn man sie dazu ermutigt, mit sich selber vertrauter zu werden, so stößt man auf Bereiche die ihrem Bewusstseinnicht zugänglich ist; sie haben ganze Teile von sich einfach weggeworfen. Dies sind die unsichtbaren Bereiche; bevor diese Bereiche nicht als Teil des Ganzen bewusst geworden sind, kann die Bewegung nicht authentisch sein und das Unsichtbare nicht verschwinden.

Die beiden wichtigsten Vertreterinnen der Methode Authentic Movement sind:

Joan Chodorow

Sie ist Tanztherapeutin und Jungianische Analytikerin. Auf Ihrem Lebensweg begegnete sie wichtigen Tanztherapeutinnen darunter auch Mary Starks Whitehouse. Ihr Verdienst ist es, die von Mary Starks Whitehouse begonnene Arbeit fortzusetzen und weiter zu entwickeln, sowie Authentic Movement durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten einen gebührenden Platz im Bereich der Analytischen Psychologie zukommen zu lassen.

Janet Adler

Adler beschäftigt sich ebenso wie Starks Whitehouse und Chodorow ein Leben lang mit Bewegung. Sie traf ebenso auf Mary Starks Whitehouse. Das persönliche Studium des authentischen Bewegungsprozesses bei Mary Starks Whitehouse, die ihr die wesentliche Struktur dieser Arbeit übermittelte, hat sie nicht nur im persönlichem Leben tiefgreifend beeinflusst. Es erlaubt ihr alle vorangegangenen Erfahrungen in einem neuen Kontext zu sehen.

Janet Adler wird heute mit der Weiterentwicklung des authentischen Bewegungsprozesses zur Disziplin Authentic Movement in Verbindung gebracht.

Sie definierte die Grundform, welche die methodische Grundlage bildet. Die Grundform beinhaltet wichtige Richtlinien für die Praxis.

Im Bezug auf den zwischenmenschlichen Bereich ist Janet Adler der Auffassung, dass uns Menschen ein tiefes Verlangen innewohnt, von anderen in ihrer Authentizität gesehen zu werden.

Praxis

Übertragen auf die Praxis in Authentic Movement wird der beständige äußere Rahmen gebildet durch die Beziehung zwischen der sich bewegenden Person und der die Bewegung begleitenden Person.

Dem Kreis als Symbol der Zugehörigkeit und Verbundenheit kommt eine wichtige Bedeutung zu. Wird Authentic Movement in der Gruppe praktiziert, so versammeln sich die Beteiligten zunächst zu einer Kreisformation.

Dabei ist es von zentraler Bedeutung den Kreis bewusst in sich aufzunehmen. Er dient als symbolisches Gefäß für die Inhalte des Unbewussten und wird oft auch als Container bezeichnet. Diejenigen, die sich bewegen, begeben sich in den Kreis hinein. Die Bewegungen des Movers geschehen mit geschlossenen Augen innerhalb des Kreises. Die in der Kreisform verbleibenden BegleiterInnen haben die Aufgabe, die Erfahrungen visuell und mit innerer Anteilnahme zu begleiten und sie durch bewusstes Sehen und Erleben im Hier und Jetzt zu verankern. Somit bildet der Kreis einen Schutzraum in dem sich mehrere Dinge gleichzeitig ereignen können.

Im Kreis der Begleiter wächst mit zunehmender Erfahrung in Authentic Movement die Fähigkeit des achtsamen, respektvollen und bewussten Wahrnehmens persönlicher und kollektiver Inhalte. Häufig erlebt der Kreis der Begleiter die Gegenwart einer Energie die größer und umfassender ist als die persönliche Energie einzelner Personen.

Begeben wir uns mit dem Denken auf eine etwas größere Ebene, in größere Zusammenhänge, so erkennen wir, dass alle Lebewesen Teil eines Kreises, eines Kreislaufes sind. In der westlichen Welt sind die Menschen vorwiegend des einzelnen Individuums beschäftigt gewesen und laufen dabei Gefahr das Bewusstsein vom Eingebundensein in die Gesamtheit des Lebens zu verlieren. Als Menschen brauchen wir die Erfahrung von Sinnerfüllung, von Gleichgewicht der inneren Kräfte, von Verbundenheit und Teilhaben an der Gesamtheit des Lebens.

Menschen, die Psychotherapie aufsuchen, könnte man als solche bezeichnen, die aus dem Kreis bzw. dem Kreislauf herausgefallen sind; das bewusste Erleben der religio - der Rückverbindung - ist verloren gegangen. Wie naheliegend ist da der Gedanke der Selbstfindung um sich wieder in den Kreislauf zu begeben.

Ich möchte mit einem Gedicht von T.S. ELIOT enden:

Mit dem heftigen Sehnen der Liebe und
Der Stimme dieses Rufes folgend
Werden wir nicht ablassen von unserer Suche
Um am Ende all unseres Suchens werden wir
Dort und wiederfinden, wo wir begonnen haben
Und werden den Ort zum ersten Mal erkennen.
Durch das unbekannte Tor der Erinnerungen,
Wo das Letzte das es auf Erden noch zu entdecken gibt,
nur das noch sein wird, was am Anfang war;
An der Quelle des längsten Flusses
Die Stimme des Wasserfalls im Verborgenen
Und die Kinder im Apfelbaum
Nicht erkannt, weil nicht gesucht
Doch vernommen, halb vernommen, in der Stille
Zwischen zwei Meereswellen.
Schnell jetzt, hier, jetzt, immer –
Ein Zustand vollkommener Einfachheit
(der nicht weniger kostet als alles)

Literatur

Janet Adler, Die Gabe des bewussten Körpers/Authentic Movement als Weg
Janet Adler, Offering from the Conscious Body: The Discipline of Authentic Movement.

Janet Adler, Arching Backward: The Mystical Initiation of a Contemporary Woman.

Joan Chodorow, Dance Therapy and Depth Psychology: The Moving Imagination.

C.G. Jung, Joan Chodorow (Introduction), C.G.Jung on Active Imagination.

Patrizia Pallaro(Editor), Authentic Movement: Essays by Mary Starks Whitehouse, Janet Adler and Joan Chodorow

Patrizia Pallaro (editor), Authentic Movement: Moving the Body, Moving the Self, Being Moved - A Collection of Essays v. 2 (Paperback)

Zeitschrift

A Moving Journal: Ongoing Expressions of Authentic Movement, www.movingjournal.org